Gepolsterte, bequeme Sessel, Full-Service-Angebot, ein Dach über dem Kopf, geheizt oder klimatisiert, je nach Saison: Das ist Kino, ein Vergnügen für die ganze Familie. Es geht jedoch auch anders: Das kommunal geförderte Kino Lumière bietet während des Göttinger Kultursommers mit seinem traditionellen Open-Air-Kino im Freibad Brauweg eine charmante Alternative. Einfache Stühle, Decken, die Gastro-Theke, der Filmprojektor im Bauwagen und ganz viel frische Luft unter dem Sternenhimmel sorgen für eine Film-Atmosphäre der besonderen Art. Ich habe mich einmal bei einigen Freiluft-Kino-Fans umgehört.
Schwimmen und schauen

Tradition: Das Open Air Kino im Freibad Brauweg. Foto: Christoph Mischke

12 x 5 Meter: Die verspannte Aufblas-Leinwand. Foto: Christoph Mischke

Gelungene Kombination: Bade- und Kinovergnügen in einem. Foto: Christoph Mischke
Es ist Freitagabend, 21 Uhr, die Sonne beginnt sich orange zu färben, um langsam hinter dem Eingang des Freibads unterzugehen. Die Liegewiese ist bereits gut frequentiert. Viele Besucher haben es sich seit dem Einlass um 20 Uhr bereits auf den bereitgestellten Stühlen oder auf ihren mitgebrachten Decken gemütlich gemacht. Heute wird „The Rocky Horror Picture Show“ gezeigt, Jim Sharmans längst zum Kultfilm avanciertes Meisterwerk aus dem Jahr 1975. Trotz nicht eben sommerlicher Temperaturen von gerade einmal 19 Grad Celsius ziehen einige Kinogäste noch ihre Bahnen im Becken. Viele haben ihr Schwimmprogramm bereits beendet, wie die trocknenden Badesachen auf der Abspannung der Leinwand dokumentieren. Dreifach verspannt ist die rund 12 x 5 Meter große Projektionsfläche im Aufblasrahmen. „Die ist ziemlich sturmfest“, sagt mir Daniel, Filmvorführer im Lumière. Er ist auch für die Musikauswahl verantwortlich, die aus den beiden Boxen-Paaren tönt, die für eine ausgewogene Beschallung sorgen. Für heute hat er einen bunten Mix aus 60er-Jahre-Schlagern, Seventies-Klassikern und Film-Soundtracks zusammengestellt. Das scheint beim Publikum sehr gut anzukommen.
Technisch aufgerüstet

Entspannte Stimmung: Noch ist viel Zeit bis zum Filmstart. Foto: Christoph Mischke
In den vergangenen Jahren, so berichtet mir der Vorführer, ist hier technisch aufgerüstet worden und der Filmprojektor, der regengeschützt im nachtblauen Bauwagen installiert ist, funktioniert inzwischen auch digital. „Grundsätzlich zeigen wir die Filme bei jedem Wetter“, sagt Daniel, „auch bei leichtem Regen. Nur wenn es wie aus Kübeln schüttet, müssen wir abbrechen.“ Bei Sturm und Gewitter sowieso, schon aus Sicherheitsgründen, „aber“, so Daniel, „das habe ich noch nicht erlebt.“ Alex, Tanja, Erik und Raven aus Göttingen sind zum ersten Mal hier und gespannt, was auf sie zukommt. Vergnügt vertreiben sie sich die Zeit bis zum Filmstart mit „Blitzdings“, einem Geschwindigkeits-Kartenspiel. Obwohl sie den Film kennen, haben sie auf die üblichen Mitmach-Utensilien wie Wasserpistole, Reis, Zeitung, Konfetti, Klopapier und Party-Hütchen verzichtet. Luca und Babs sind da besser ausgerüstet, wissen aber noch nicht, ob es Ärger gibt, wenn sie bei der Hochzeitsszene zu Beginn mit Reis werfen. Ich denke mir, wer diesen Film zeigt und die kultige Sauerei vermeiden wollte, der würde doch sicher entsprechende Hinweise gegeben haben. Würde ich echt gelassen sehen. Wie dem auch sei, die beiden freuen sich auf einen schönen, entspannten Sommerabend.
Popcorn, Bier und Softdrinks

Einzigartige Atmosphäre: Blockbuster am Rand des Schwimmbeckens. Foto: Christoph Mischke

Vorfreude: Tobias und Marie-Louise weihen ihren Picknick-Korb ein. Foto: Christoph Mischke
Studentin Laura ist mit ihrer ganzen WG da. Während sie auf den Decken in der ersten Reihe die Stellung hält, sind einige ihrer Leute noch auf dem Freibad-Areal unterwegs. Mir fällt ein üppig ausgestatteter Picknick-Korb auf einer mit großen Erdbeeren bedruckten Decke auf. Er gehört zu Tobias und Marie-Louise. Das Paar aus Göttingen möchte diese Futter-Box heute in relaxter Stimmung einweihen. Den Film kennen beide, wie wohl jeder hier. Marie-Louise nennt ihn „einen Klassiker“, Tobias hält ihn für „abgedreht und herrlich bescheuert“. Wie die beiden haben sich viele Besucher etwas zu essen und zu trinken mitgebracht, da reicht die Bandbreite von Chips und Flips bis zu kompletten Menüs mit Brot und Salat, von Tetra-Trinktüten bis zum Fläschchen Sekt mit Gläsern. Allerdings ist auch die Gastro-Theke meist gut besucht. Hier gibt’s neben Bier und Softdrinks auch Schokoriegel und das beliebte frisch gemachte Popcorn. Es duftet herrlich, aber ich verzichte, weil ich den gepufften Mais lieber salzig anstatt süß mag. Bei einer Pilsette sage ich aber nicht nein. Ich soll unbedingt schreiben, dass das Popcorn 50 Cent teurer geworden ist, sagt mir Mareike mit einem Augenzwinkern. „Allerdings ist es auch das Beste, das es gibt.“ Gut, so sei es, jedenfalls ist die Stimmung hier wunderbar.
Mit Pullover und Jacke

Mit Wasserpistole, Konfetti und Partyhütchen: leidenschaftliche Fans. Foto: Christoph Mischke

Das passende Outfit zum Film (v. l.): Sabrina, Christoph und Naima. Foto: Christoph Mischke
Mareikes Freundin Sabrina hat in meinen Augen genau das richtige Outfit zum Film gewählt. Einen schwarzen Rock, Netzstrümpfe und ein schwarz-weißes T-Shirt, bedruckt mit Zeitungscover und roten Lippen. Leider haben sich nur sehr wenige Besucher entsprechend ausstaffiert und so fühlt sie sich momentan etwas „overdressed“. Das ändert sich schlagartig, als Naima und Christoph dazu stoßen. Beide geschminkt und im sexy Dress, heben sie nicht nur Sabrinas Stimmung, sondern auch die Quote der leidenschaftlichen Rocky-Horror-Fans. Hinter dem Sprungturm leuchtet blass die Sichel des zunehmenden Monds zur blauen Stunde. Der eine oder andere wirft sich eine Decke um, manche greifen zu ihren langärmeligen Pullovern und Jacken. Hier unten, in der Nähe von Leine und Kiessee, ist die Luft immer etwas feuchter und es wirkt kühler, als es tatsächlich ist.
Applaus zum Filmstart

Besondere Atmosphäre: Kinovergnügen unter dem Sternenhimmel. Foto: Christoph Mischke

Gespiegelt: Columbia, Magenta, Frank N. Furter und Riff Raff. Foto: Christoph Mischke
Einige kleine organisatorische Ansagen der Veranstalter kündigen den nahenden Filmstart an, und die letzte schwimmende junge Frau sieht zu, dass sie an ihren Platz kommt. Aber, und das ärgert mich auch in den herkömmlichen Kinos, es vergeht knapp eine weitere halbe Stunde mit Film-Trailern, bevor es endlich um 22.45 Uhr losgeht. Im Programm ist der Beginn auf 22 Uhr terminiert. Ich verstehe, dass es nicht zu hell sein darf, bevor der Projektor eingeschaltet wird und mir ist auch klar, dass der Umsatz an der mit Partylichtern geschmückten Gastro-Theke stimmen muss, aber eine Dreiviertelstunde Verzug gegenüber der angekündigten Zeit ist schon grenzwertig. Applaus brandet auf, als Magentas grellrote Lippen auf der schwarzen Leinwand auftauchen. „Science Fiction/Double Feature“, endlich geht es los. Wunderbar spiegelt sich das Bild von der gegenüberliegenden Seite des Schwimmbeckens auf der glatten Wasserfläche. Ich schaue mir die Szenerie vom 10-Meter-Sprungturm aus an, was mir der überaus freundliche Schwimmmeister netter- und ausnahmsweise gestattet. Eine herrliche Perspektive, obwohl ich von hier oben eine suboptimale Tonversorgung habe. Egal, ich kann den Film sowieso mitsprechen. Und, was soll ich sagen: Es fliegt Reis, ich sehe Zeitungen auf Köpfen und Wasser wird auch gespritzt – geht doch.
„Personal Jesus“ erstmals unter freiem Himmel

Ausnahmegenehmigung: Der Blick vom 10-Meter-Turm. Foto: Christoph Mischke
Das Open-Air-Kino im Brauweg läuft noch bis zum 31. August mit Vorstellungen jeweils am Donnerstag, Freitag und Samstag. Ihr könnt euch auf cineastische Leckerbissen wie „Yuli“ heute Abend beispielsweise oder „Der Trafikant“ am 26. Juli, „BlacKkKlansman“ am 15. August oder „Bohemian Rhapsody“ zum furiosen Open-Air-Kino-Finale am 31. August freuen. Das komplette Programm findet ihr hier. Etwas ganz Besonderes könnt ihr am 23. August um 20.15 Uhr erleben. Dann spielt das Junge Theater seine erfolgreiche Musikshow „Personal Jesus“ erstmals unter freiem Himmel.
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