Tonnenschweres Gerüst verschwunden

Nun ist das Gewirr von Traversen, Holzbohlen und Metallverstrebungen verschwunden und ich bin ziemlich baff. Wunderschön, sage ich zu Pastor Gerhard Schridde und Hildgund Broda, der Vorsitzenden des Kirchenvorstands. Die beiden nehmen mich mit auf einen kleinen Rundgang durch das fast fertiggestellte Gotteshaus.
Edler Fußboden aus Sandstein
Ab und zu scheinen heftige Hammerschläge durch das Kirchenschiff zu hallen, aber es ist nur der große Staubsauger, der offenbar ein paar Startprobleme hat. Sorgfältig entfernen die Handwerker den Schmutz von den Schutzpappen, bevor sie beginnen, den neuen Sandsteinfußboden freizulegen. Der sieht einfach klasse aus, fast schon zu edel, um mit Straßenschuhen darauf zu laufen.
Mir fallen die steingefüllten Umrandungen unterhalb der Wände und um die Säulen herum auf. Sie bilden, erklärt man mir, eine Art Drainage, damit keine Feuchtigkeit von den riesigen Steinfundamenten unterhalb des Kirchenbaus ins Gemäuer zieht. „Bitumen-Trennschichten kannte man damals noch nicht“, sagt der Pastor lächelnd. Jetzt schallt plötzlich entspannte Lounge-Musik durch den Raum und die Kirchenvertreter freuen sich, dass die werkelnden Techniker soeben auch die Musikanlage erfolgreich zum Klingen gebracht haben.
Farbgestaltung nach historischen Quellen
Einen großen Anteil daran, dass die Kirche jetzt hell, freundlich, ja geradezu luftig wirkt, ist der Farbwahl zu verdanken. Das Cremeweiß der Wände und Gewölbe sowie der bräunliche Rotton der Säulen und Pfeiler spiegeln historische Quellen wider. Auch die neugestalteten Fenster an Nord- und Südseite des Kirchenschiffs tragen ein gehöriges Maß dazu bei. Sobald die Sonne scheint zaubern die phantasievoll gemusterten Scheiben wunderbare Lichtreflexe in den Raum.

Glaskunst und historische Deckenbemalung
Glaskünstler Günter Grohs aus Wernigerode war hier am Werk und hat seiner Phantasie freien Lauf gelassen. Ich erkenne zahllose Linien- und Wellenmuster, die für meine Augen keinem bestimmten System folgen, aber ausgesprochen apart wirken. Die farbigen Flächen wirken zart und trotzdem leuchtend. Die alten Nordfenster habe ich als arg verstaubt und vom Zahn der Zeit angeschwärzt in Erinnerung. Hildgund Broda zeigt mir ein Foto auf ihrem Handy. Es zeigt eines der Nord-Fenster, wo vermutlich früher einmal Handwerker während ihrer Pause auf einem Gerüst Tic-Tac-Toe gespielt haben.
Deutlich sind die großformatigen Kreuze und Kreise in der dicken Staubschicht zu erkennen. „So hat das bestimmt 15 Jahre ausgesehen“, sagt sie lachend, „und augenscheinlich hat es niemand bemerkt.“ Ein historisches Kleinod ist übrigens ebenfalls im Gewölbe des nördlichen Seitenschiffs am Übergang zum Chor zu entdecken. Hier haben die Fachleute einen kleinen Teil einer früheren Deckenbemalung mit Ornamenten, Blättern und Ranken für die Nachwelt konserviert.
Socken, Schuhe und Karl-May-Buch
Die Kirchenvorstandsvorsitzende hat auf mein Bitten hin noch mehr Anekdoten parat und berichtet von Gegenständen, die sie und ihre Mitstreiter*innen beim Ausräumen vor drei Jahren in verborgenen Ecken und Nischen, unter anderem in der Orgel, gefunden haben. Neben zahllosen Mäusekötteln fand sich ein alter Socken, Schuhe, ein mottenzerfressenes Stofftaschentuch und sogar ein altes Karl-May-Buch. „Was sich halt im Lauf von Jahrzehnten so ansammelt.“
Wandpfeiler gekürzt
Eine weitere kuriose Geschichte hat mit dem Einbau der beiden neuen Treppen, die hinauf zur Empore führen, zu tun. „Irgendwie hatte niemand bei der Planung die Wandpfeiler, im Fachjargon Dienste genannt, bedacht“, berichtet Hildgund Broda. Deren Sockel lagen nämlich direkt auf Kopfhöhe und hätten unaufmerksamen Stiegenbenutzern sicherlich so manche Beule beschert. Also, was tun? Da die Höhe der Treppe ja vorgegeben war, wurde der Dienst kurzerhand mit der Steinsäge um einen knappen Meter verkürzt und der untere Sockel wieder angemauert – fertig.
Küche und Lastenaufzug
Pastor Schridde ist besonders stolz auf die neuen Räume. Unterhalb der Orgelempore wurden eine Küche, ein Technikraum und eine Toilettenanlage eingebaut. „Und zwar so, dass sie, sollte sich das Nutzungsverhalten kommender Generationen einmal ändern, ohne großen Aufwand oder Schäden wieder entfernt werden können.“ Eine Auflage des Denkmalschutzes. Auch ein Lastenaufzug wurde installiert, mit dem technisches Equipment problemlos und schnell auf die Orgelempore transportiert werden kann. Ich kann über so viel Weitsicht nur staunen, augenscheinlich wurde bei den Planungen an alles gedacht.
Stühle statt Kirchenbänke
Beim Blick in die Weite des Raums vermisse ich die früheren Kirchenbänke. „Die wird es nicht mehr geben“, erklären mir meine Begleiter unisono. Eigentlich logisch, denke ich, mit Stühlen ist man natürlich bei Veranstaltungen wesentlich flexibler. Der Auswahl des Gestühls waren umfangreiche Sitzproben vorausgegangen und schlussendlich entschieden sich die Verantwortlichen für das Modell „Lutherstuhl“. „Der Name war aber nicht ausschlaggebend und reiner Zufall“, lacht die Frau aus dem Kirchenvorstand.

Präzision statt Silikon
Wenn Pastor Schridde über die Umbauarbeiten spricht, ist er immer wieder voll des Lobes über die Leistung des leitenden Architekten Heino Ester vom Bauamt der Landeskirche sowie der Handwerker vor Ort. Egal, ob eine nicht bedachte Revisionsklappe der Türverriegelung, die spaltmaßtreue Verfugung oder der Einbau moderner Verriegelungstechnik in die einhundert Jahre alten Holzportale. Alle haben nach des Pastors Worten hervorragende Arbeit ausgeführt und jederzeit flexibel auf kurzfristige Änderungen reagiert. „Präzision statt Silikon“ bringt er es auf den Punkt..
Restaurierte Bildnisse
Es gäbe noch so viel über den Umbau zu erzählen, dass es den Rahmen dieses Beitrags definitiv sprengen würde. Über die im Boden eingelassene LED-Beleuchtung der Säulen, die riesigen beleuchteten Stahlreifen, die vom Gewölbe hängen, über die Gestaltung des gläsernen Windfangs, über die restaurierten Bildnisse aller früheren Pastoren von St. Johannis an den Wänden und.. und… und. Am besten, ihr schaut euch das Gotteshaus selbst einmal an. Vielleicht schon am 27. November, dem feierlichen Fest-Wochenende zur Wiedereröffnung.

Limitierte Einkaufstaschen
Halt, eine Sache hab‘ ich noch. Vielleicht fragt ihr euch, was aus der großen Staubschutz-Plane mit der Umbau-Visualisierung geworden ist, die ich eingangs erwähnt habe. Da hatte Pfarrsekretärin Beate Müller eine zündende Idee. Die dicke Plane wurde gereinigt und im Zeichen der Nachhaltigkeit zu stabilen Einkaufstaschen upgecyled. 90 limitierte und nummerierte Taschen, jede einzelne ein Unikat, sind auf diese Weise entstanden. Wer also ein Stück Johanniskirche sein Eigen nennen möchte, kann sie im Sekretariat erwerben.