„Göttingen, die grüne Stadt der kurzen Wege“ ist eine der häufigsten Antworten auf die Frage, warum sich die Menschen hier so wohlfühlen. Göttingen lässt sich nämlich bequem zu Fuß erkunden. Auf entspannten Spaziergängen könnt ihr die vielfältige Mischung aus Kunst, Architektur, Gastronomie und Shopping entdecken – zum Beispiel in der Lange-Geismar-Straße.
Kleine Geschichtsstunde: Zeitreise in das Dorf Gutingi
Göttingens Keimzelle: Platea Geysmariensis Longa
Zunächst ein wenig Historie zur Einstimmung. Schließlich beginnt dieser Straßenzug im ehemaligen Dorf Gutingi, quasi der Keimzelle der Stadt, dort, wo heute der Albaniplatz ist. Ursprünglich bestand die Straße aus zwei Teilen und war „die lange Straße im Geismarer alten Dorf“: Der erste Abschnitt führte vom Albanikirchhof bis zum Inneren Tor. 1412 heißt dieser Straßenabschnitt bereits „Platea Geysmariensis Longa“. Der zweite Abschnitt führte vom inneren Tor zum Kornmarkt und lag innerhalb der Stadtmauer. Er wird 1410 als „ante Valvam Geismariensem iuxta Plateam Gronensem“ erwähnt. 1864 schließlich wurde die Lange-Geismar-Straße offiziell benannt, in der noch heute gültigen Schreibweise.

Heute ist diese Ost-West-Achse eine der am meisten frequentierten Seitenstraßen der Stadt. Ein Grund dafür ist sicher die Vielfalt der überwiegend inhabergeführten Fachgeschäfte. Die Bandbreite reicht von Kleidung, Schuh- und Outdoor-Geschäften bis zum Fahrradladen. Außerdem werdet ihr fündig, wenn ihr auf der Suche nach Deko oder Schmuck seid. Besonders ist der Fokus einiger Geschäfte auf nachhaltigen und fair gehandelten Produkten, zum Beispiel bei Contigo.
Vom Eis-Snack bis zum Schlemmerabend
Solltet ihr Hunger oder Durst haben, kein Problem. Ganz gleich, ob ein Eis-Snack bei „Da Claudio“ oder ein fixer Nudel-Imbiss in der „Asia Food Lounge“, ob lecker Frühstück oder Mittagessen im „Esprit“ oder ein italienischer Schlemmerabend im „Boccadoro“ – genießt es.
Fairer Handel in schönem Fachwerk: Contigo wurde 1994 in Göttingen gegründet.
Fachwerk, Klinker und Sandstein
Während ihr entspannt vom Kornmarkt aus die Lange Geismar entlang schlendert, die Göttinger*innen lassen meist das „Straße“ weg, schaut ruhig einmal über den Rand der Schaufenster hinaus. Dann seht ihr mehr von der vielfältigen Architektur, die sich im Lauf der vergangenen Jahrhunderte entwickelt hat. Putz und Klinker in verschiedensten Farben konkurrieren mit Sandstein-Fassaden, massiven Backstein-Elementen und vor allem mit gut erhaltenem Fachwerk in vielen Gestaltungsformen.
Viermal täglich Glockenspiel
Eine kleine Warnung noch zu Beginn: Wenn es gerade 11, 12, 16 oder 17 Uhr ist, erschreckt euch nicht. Denn dann beginnt das Glockenspiel am Göttinger Reformhaus mit seinen Melodien. Jeweils für einige Minuten spielen die 12 digital gesteuerten Glocken vorwiegend Volks- und Wanderlieder wie „Freut euch des Lebens“ oder „Wenn alle Brünnlein fließen“. Mitunter schallt aber auch „Morning has broken“ von Cat Stevens durch die Straßen. Die Festplatte des Glockenspiels enthält 40 Titel, da könnt ihr euch überraschen lassen.
Nachhaltig shoppen im Fachwerkhaus
Unter Denkmalschutz: Schiefertürmchen und Stufengiebel
Die meisten Häuser in der Langen-Geismar-Straße unterliegen dem Niedersächsischen Denkmalschutzgesetz. So auch das Haus Nummer 33. Ein mächtiges Ensemble aus Sand- und Backstein an der Ecke zur Mauerstraße, mit schiefergedecktem Türmchen und Stufengiebel.

Im Erdgeschoss findet ihr das Teehaus Kluntje. Neben vielen leckeren Teemischungen für zuhause könnt ihr in der gemütlichen Teestube wunderbar eine kleine Pause einlegen. Apropos: Wenn ihr gerne Tee mögt, solltet ihr diesen Beitrag unbedingt lesen.
Nachhaltig und fair shoppen
Wer lieber Kaffee mag, findet schräg gegenüber Contigo. Das Unternehmen, das sich seit über 20 Jahren dem fairen Handel verpflichtet hat, betreibt inzwischen bundesweit 24 Filialen. Hier steht ihr vor seiner Keimzelle, denn Contigo wurde 1994 in Göttingen gegründet. Das wunderschöne Haus ist natürlich viel älter. Es wurde 1523 für den Ratsbeisitzer Ludolf Segebode erbaut. Auffällig ist ein bis in das Obergeschoss hineinragender gotischer Torbogen. Links neben dem Portal könnt ihr das goldene Familienwappen der Segebodes erkennen.
Handgemachte Snacks aus der türkischen Bäckerei
Schräg gegenüber findet ihr noch ein Haus aus dem Jahre 1523. Viel kleiner, aber ebenso schön restauriert. Die hier ansässige türkische Bäckerei Yildiz backt ihre Spezialitäten selbst. Handwerkliches Backen wird übrigens in Göttingen noch großgeschrieben, wie ihr in diesem Artikel erfahrt.
Gastronomie, Kunst und politische Arbeit
Italienische Spezialitäten
Im oberen Teil der Langen-Geismar-Straße wird es etwas ruhiger, aber nicht weniger spannend. Bei Viani bekommt ihr authentische Italienische Spezialitäten, vom intensivfruchtigen Olivenöl bis zur pikanten Trüffelsalami, von handwerklich hergestellter Pasta bis zum Piemonteser Rotwein.

Fahrradladen in ehemaliger Fabrik
Ein imposanter hellgrauer Bau sticht aus dem sonstigen Straßenbild heraus. Hier befanden sich ehemals die Fabrikräume der mechanischen Werkstätten der Firma Ruhstrat. Im vorderen Bereich haben heute die Fahrrad-Spezialisten von VeloVoss ihre Verkaufsräume eingerichtet. Was für ein Entree für ein Fahrradgeschäft.
Kunst zum Mitmachen: Atelier und Keramikwerkstatt
Quasi nebenan liegt die Galerie Uta Sehr. Die Malerin bringt ihre Träume farbenfroh auf die Leinwand. In ihrem Atelier gibt sie ihr Wissen in unterschiedlichen Kursen und Techniken an Kinder, Jugendliche und Erwachsene weiter. Auch gegenüber, in der Keramikwerkstatt „Abgedreht“, könnt ihr selbst tätig werden. Die Warteliste für eine Töpferscheibe ist allerdings immer sehr lang. Ihr könnt hier Vasen, Übertöpfe, Schalen, Becher, Krüge und ganze Services kaufen, auf Wunsch auch individuell gefertigt.
Politische Arbeit im Roten Zentrum
Im obersten Teil der Lange-Geismar-Straße spiegelt sich auch eine politische Seite Göttingens mit jahrzehntealter Tradition wider. Verschiedene linke Gruppierungen haben ihre politische Arbeit im Roten Zentrum gebündelt. Ihre antifaschistische Haltung ist auf diversen Tafeln und in den Schaufenstern allgegenwärtig.
Gutingi war der Ursprung
So, nun habt ihr den Ursprung der Straße erreicht, den Albaniplatz mit Blick auf die ehemalige Mittelschule für Mädchen, deren Klassenräume heute als „Minimax“ vom Max-Planck-Gymnasium genutzt werden. Hier, um St. Albani herum, ist das Dorf Gutingi entstanden, das vor rund 1070 Jahren erstmals in einer Urkunde erwähnt wurde und aus dem später Göttingen wurde.