Der kleine Ort Friedland war mir schon ein Begriff als ich noch in Schleswig-Holstein lebte. In meiner Jugend gab es die erste Begegnung im Geschichtsunterricht, dann immer mal wieder in Dokumentationen oder Nachrichtensendungen im Fernsehen. Meistens gab es einen Bezug zur Entstehung des Grenzdurchgangslagers im Jahr 1945 und die Rückkehr vieler Kriegsgefangener in den 1950er Jahren. Dass das Grenzdurchgangslager in Friedland aber nicht nur in dieser Zeit eine große Bedeutung für viele Menschen hatte, sondern bis heute Vertriebenen, Spätaussiedlern und Flüchtenden aus aller Welt für eine Übergangszeit ein Zuhause und eine erste Orientierung in Deutschland gibt, das war mir so nicht bewusst.
Wie ich schnell merke, bietet das Museum Friedland bei einem Besuch eine beeindruckende Möglichkeit, die Geschichte des Grenzdurchgangslagers von 1945 bis heute zu erleben. Ich habe das Glück, dass ich mit Dr. Steffen Wiegmann, dem wissenschaftlichen Leiter des Museums, einen Rundgang machen und viele Fragen stellen darf. Unsere erste Anlaufstelle ist dabei das alte Bahnhofsgebäude von Friedland, in dem sich seit März 2016 eine Dauerausstellung zur Geschichte des Lagers befindet. Gleich im Eingangsbereich kann ich anhand eines temporär hier stehenden Modells erkennen, dass dieses Gebäude nur der erste Teil eines dreiteiligen Konzeptes ist, das in den nächsten Jahren umgesetzt werden soll. Aber dazu später mehr.
Beim Eintritt in die Räume der Dauerausstellung bleiben wir zuerst vor der Vitrine mit dem Lagerbuch stehen, dass auch heute noch regelmäßig aktualisiert wird. Über der Vitrine kann ich in einem an die Wand projizierten Film sehen wie die Seiten des Buches umgeschlagen werden, ohne dass ich es selbst berühren muss. Ziemlich praktisch, um das Buch in gutem Zustand zu erhalten. Im nächsten Raum, der fensterlos ist, zeigen Filme auf zahlreichen Bildschirmen in welchem Zustand sich Deutschland und Europa am Ende des 2. Weltkrieges befanden, welche Menschenmassen vertrieben wurden und sich auf der Flucht befanden. Ein bedrückendes Gefühl macht sich breit. Ich kann trotzdem wahrscheinlich nicht einmal im Ansatz erahnen, was für ein Chaos und Leid geherrscht haben. Und genau an diesem Punkt der Geschichte beginnt die Entstehung des Grenzaufnahmelagers Friedland.
Die Ausstellungsräume im Erdgeschoss konzentrieren sich ausschließlich auf die Anfänge in Friedland vom September 1945 bis weit in die 1950er Jahre. Dr. Wiegmann erklärt mir an einzelnen Ausstellungsstücken, dass es zuerst wichtig war Ordnung ins Chaos zu bringen, all die Menschen die unterwegs waren mit Lebensmitteln zu versorgen und sich um deren Gesundheit zu kümmern. Ich sehe Essens- und Versorgungsgutscheine, lese Namen und nehme einzelne Menschen mit ihren Schicksalen wahr. Schnell berührt mich diese anscheinend so ferne Geschichte Deutschlands sehr viel mehr als wenn es nur um abstrakte Zahlen und Ereignisse geht. Viele Bewohner sind nur ein, zwei Tage in Friedland, andere bleiben länger, je nachdem, ob Sie bereits ein festes Ziel haben oder in Friedland erst einmal gestrandet sind. Die Suche nach Vermissten, nach Vätern, Müttern, Kindern und Freunden drängt mit der Zeit immer mehr in den Fokus. Genauso wie die Frage nach der im Krieg erworbenen Schuld oder Nichtschuld bei den Ankömmlingen.
In der oberen Etage wird die Geschichte des Grenzdurchgangslagers von den 1960er Jahren bis in die Gegenwart betrachtet. Aus den unterschiedlichsten Gründen kommt es auch in diesen Jahrzehnten immer wieder zu Migrationsbewegungen: Flüchtlinge aus der DDR finden in Friedland ihren ersten Anlaufpunkt, ebenso Boat People aus Vietnam, Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion oder Syrer oder Iraker in der heutigen Zeit. Jede Gruppe bringt andere Erfahrungen und Erwartungen mit und im Grenzdurchgangslager in Friedland wurde in all den Jahrzehnten versucht, die erste Zeit in Deutschland verständlich zu machen und Unterstützung zu geben. Eins scheint klar: Das Grenzdurchgangslager ist auch ein Spiegel der Veränderungen und Krisen unserer Welt.
Ich bin beeindruckt was hier in Friedland alles geschafft wurde. Es ist allerdings noch nicht ganz Schluss, denn Herr Dr. Wiegmann möchte mir die Sonderausstellung direkt auf dem Gelände des Durchgangslagers zeigen. Auf dem Weg dorthin kommen wir an dem Grundstück vorbei, auf dem der Neubau entstehen soll, der das dreiteilige Konzept in Friedland auf die zweite Stufe bringen wird. Das neue Gebäude wird unter anderem ein Dokumentationszentrum, eine Bibliothek, Platz für Ausstellungen mit thematischer Vertiefung und ein Café beherbergen. Den voraussichtlich dritten Baustein des Gesamtkonzeptes wird dann eventuell die Akademie Friedland bilden, angedacht als zukünftiges Forschungszentrum und internationale Jugendbegegnungsstätte. Das Team hier in Friedland hat also noch einiges vor.
Wenige Minuten später kommen wir auf dem Gelände des Grenzdurchganglagers vor der Nissenhütte an, in der die Sonderausstellung gezeigt wird. Die Nissenhütte stammt noch aus den Anfangszeiten des Lagers und ist ein Gebäude von ganz besonderer historischer Bedeutung.. Die Ausstellung heißt „…entscheidend ist auf dem Platz“ und beleuchtet das Thema Sport und Integration. Passenderweise sind die beiden Themenbereiche in der Hütte in „Spielfeld“ und „Umkleide“ aufgeteilt. Anhand einiger Beispiele von Sportlern wird die Frage aufgeworfen, inwiefern Sport zu einer gelungenen Integration beitragen kann und welche Faktoren neben dem Sport noch eine Rolle spielen könnten. Die Ausstellung ist noch bis zum Sommer 2019 zu besichtigen.
Ich bin mir sicher, dass ich bald wiederkommen werde. Ein Freund von mir aus Berlin ist Sohn der aus Vietnam geflüchteten Boat People und als kleines Kind mit seinen Eltern in Österreich gelandet. Im Museum Friedland wird der gemeinsame Blick in die Geschichte sicherlich besonders interessant.
Ausführliche Informationen zum Museum Friedland gibt es hier.